„Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.“ Goethe
Auch Goethe musste erst nach Italien reisen, um sich klar zu werden, dass er „eigentlich zur Dichtkunst geboren“ war. Die Bildung, von der er spricht, meint auch Persönlichkeits-Bildung. Schon er wusste, dass er Teile seiner Persönlichkeit nur auf Reisen finden würde. Er hatte sehr Recht.
Nach 10 Jahren Alleinreisen kann ich für mich sagen; Reisen ist ein einziger großer Verstehensprozess. Das Ingangsetzen der Denkmaschinerie, während das Grübeln Pause macht. Das Stoppen des Gedankenkarussells, des ewigen sich-im Kreis-drehen. Reisen war die Zeit des Vorausdenkens, das Entwickeln einer Vision, eines Traumes, den ich von mir selbst habe.
Ich habe viel darüber nachgedacht, warum das nicht auch zu Hause funktioniert. Vielleicht, weil unsere selbst erbaute Ablenkungsmaschine so gut funktioniert. Weil wir uns das Innehalten so sehr abgewöhnt haben, weil wir jede Form von Freiraum mit blinder Aktivität gefüllt haben, die wir so gern Effizienz nennen.
Vielleicht ist es auf Reisen einfach die Zeit, die man mit sich selbst verbringt. Wer 10 Stunden an einem Busfenster sitzt und in die Landschaft schaut, kommt an den essentiellen Fragen des Lebens nicht vorbei.
Was aber noch wichtiger ist; Reisen ist ein Entwicklungsprozess. So wie ein Foto durch den Kontakt mit Chemikalien entwickelt wird, entstehen auch in uns viele Farben und Kontraste erst dann, wenn wir mit bestimmten Dingen in Berührung kommen. Bei mir waren das andere Kulturen und Denkweisen. Menschen, die nicht nach der Wahrheit leben, die in meiner gewohnten Umgebung herrschte. Wer sich in seiner gewohnten Welt falsch fühlt, dem kann es passieren, dass er in einer anderen Welt für genau das angenommen wird, was er immer so falsch an sich fand.
Ich habe lange Zeit viele meiner Stärken nur für Schwächen gehalten. Erst auf Reisen habe ich verstanden, dass ich nicht mehr gegen das kämpfen muss, was mich ausmacht. Dass es okay ist, seine ganz eigenen Träume zu leben und nicht die einer Werbeindustie, der Eltern oder Lehrer.
Manchmal war mir, als hätte ich auf meinen Reisen genau das letzte Puzzleteil gefunden, das mir zu meiner Selbstakzeptanz noch gefehlt hat. Gespräche mit Fremden, Worte, die mich bis heute begleitet haben und mir wegweisend waren. Reisen hat sich angefühlt, als könnte ich endlich meine kreativen Flügel ausbreiten.
Reisen ist Krafttraining für die Seele. Von jeder bin ich innerlich ein bisschen stärker zurückgekommen.
Ich habe auf Reisen Fähigkeiten entfaltet wie man eine innere Landkarte auseinanderklappt. Eine Landkarte, die unseren Weg durch die Welt rechtfertigt. Die einzelnen Rechtecke machen vielleicht nicht immer Sinn, aber wenn wir sie zum Schluss als großes Ganzes sehen, hat jeder Schlenker, jeder Umweg, jeder Ausrutscher seine Berechtigung. Dann werden unsere Lebenserfahrungen zu einem schlüssigen Bild, fügen sich zusammen wie die Seiten eines Daumenkinos zu einem Film und wir verstehen plötzlich, warum das eine auf das andere folgen musste.
Ich glaube, wir haben diese Landkarte immer schon in uns, unser ganzes Potenzial ist schon angelegt, wir müssen es nur entfalten.
Reisen war die Einsicht, dass ich ein inneres Koordinatensystem habe, das genau weiß, wo ich hingehöre. Vielleicht kann ich nur noch nicht alle Teile meiner Landkarte lesen.
Dieser Blog soll eine Mutmach-Maschine für alle werden, die ihre Reise noch antreten wollen.