Der Welt ins Gesicht geschaut: An ein Schulkind aus Togo…

Brief an ein Kind in Afrika

Du bist einer von denen, die nicht still sitzen können. Du warst der erste, der mir auffiel, als ich das erste Mal in deine Schule kam, um mir den Unterricht anzuschauen. Du bist immer wieder aus deiner Bank gehüpft, wenn es einfach zu langweilig wurde. Ich glaube, du ahnst, dass es im Leben Wichtigeres gibt als Buchstaben auswendig lernen. Du hast völlig recht.

Manchmal denke ich, es grenzt an Folter, kleinen Kindern ihren Wunsch nach Spielen und Draußen sein abzuerziehen und sie in eine Schulbank zu zwingen. Du kannst für dich selbst entscheiden, wann der Kopf nichts mehr aufnehmen kann. Es wird uns oft leider schon sehr früh aberzogen, unserem eigenen Urteil zu glauben.

Du hast mich über noch etwas nachdenken lassen; vielleicht kann ich hier in Togo mehr von dir lernen als du von mir.

Als ich in deinem Dorf ankam, habe ich dich erstmal zutiefst bemitleidet. Wegen dem dem Plumpsklo, den immer wiederkehrenden Yamsbreigerichten und dem Feuertopf, auf dem sie gekocht werden. Ich fand die Ameisen ekelhaft, die überall rumliefen und gruselte mich vor den Moskitos, die abends in Wolken über uns herfielen.

Das wusstest du natürlich nicht. Du warst mit allem, was du hattest, zufrieden, du warst glücklich hier, wie alle anderen.

Dann, etwas später, gab es plötzlich auch etwas, um das ich dich beneidete. Dein Volk war meinem menschlich gesehen so weit voraus, dass ich mich oft fragte, welche unserer Nationen unterentwickelt ist. Bei euch wurden ganze Nachmittage mit Trommeln und Tanzen und Zusammensein verbracht. Ihr hattet das verstanden, was bei uns viele Menschen erst auf dem Sterbebett sehen können: Dass es im Leben nicht um Geld geht, sondern um die Zeit mit geliebten Menschen.

Dostojewski hat mal über uns Industrienationen gesagt: Wir sind unglücklich, weil wir nicht wissen, dass wir glücklich sind. Vielleicht ist es bei dir genau andersrum. Du bist glücklich, weil du nicht weißt, dass du unglücklich bist.

Oder: Nur weil wir dich für unglücklich halten, bist du das noch lange nicht.

Vielleicht hast du die Probleme, die wir haben, nur deshalb nicht, weil dir noch niemand davon erzählt hat. Weil dir niemand eingeredet hat, dass du bestimmte Kleidung, ein Auto oder ein Haus brauchst. Ich hoffe, dass dir kein Fernseher und kein westlicher Einfluss dir dieses Glück je nehmen kann.

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